Dann melde ich mich als 30jähriger mal als Mitglied der Forumjugend zu Worte...
Die Strategie der künstlich geschaffenen Bedürfnisse existiert als primäre Vermarktungsstrategie seit Ablösung der kleinen und mittelständischen Wirtschaft durch den Monopolkapitalismus aufgrund von Verdrängungs- und Fusionsprozessen, sprich seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und war spätestens um die Jahrhundertwende bereits voll ausgeformt. Und Werbestrategien des frühen 19. Jahrhunderts wurden hier im Forum bestimmt nicht in Erwägung gezogen.
Das verwechselst du mit der Werbung von Pro8. Alles, was bei Kodak zur Vermarktung des E100D getan wurde, war, einen Clip auf YouTube zu stellen, in dem ein mittelalter leitender Angestellter von Kodak die Kassette im Sitzen in die Kamera gehalten und mit monotoner Stimme das Datenblatt vorgelesen hat, dazu dann am Ende noch die marketingtypische Beschwörungsformel, daß er hofft, daß es Kodak auch in Zukunft gutgehen wird. Und dann kam plötzlich Chapter 11...
Das Problem ist nur, daß nach einem Vierteljahrhundert Marketingpropaganda für Video dieses: "ANDERS" eher mit dem bösen, häßlichen Gilb aus der Gardinenwerbung assoziiert wird, sprich: "Super8 verpestet uns das ganze Haus". Video wird dagegen entgegen der Tatsachen mit Reinheit und hoher Qualität assoziiert, was bis jetzt die Hauptargumente sind, weshalb Leute von Film wegbleiben. Da wäre dann eine Strategie, die auf Häßlichkeit und Zerkratztheit abhebt, nicht sonderlich hilfreich. Auch LOMO und das Impossible Project sind ja nach Produktionsstart von der: "häßlich & billig"-Strategie sehr schnell abgekommen. Volker hat das ganz richtig erkannt mit den ja eigentlich nach dieser Logik: "total hip" aussehenden Nerdleuten im Clip von SCHMALFILM, die eigentlich eher abschrecken (das Klischee des sozial unfähigen bis autistischen Nerds und das von politischen Sektierern ist übrigens modisch nicht sonderlich weit voneinander entfernt, beide werden vorrangig als abstoßende Sonderlinge wahrgenommen; der Nerd hat dabei nur voraus, daß er eben nicht links ist).
Man kann Qualitätsunterschiede auch rüberbringen, ohne daß ein Opa im Bild irgendein Datenblatt vorliest, sondern mit entsprechenden Montagen, Animationen, einem locker-flockigen Schnitt, und mit fetziger Musik unterlegen kann man's auch (der 16mm-Clip von ARRI käme dem schon stilistisch recht nahe, was ich so im Kopf hätte), bis die ganze Häßlichkeit und technischen Mängel von Video gegenüber Film bzw. die Vorteile von Film klar sind: Farb-, Kontrast- und Latenzumfang, immer progressive Aufnahme, automatische HD-Tauglichkeit, keine Streifen im Bild wegen Überladung eines Chipelements bei Lichtern, keine Probleme mit Rolling shutter oder Tearing...
Slogan: "Das kann nur Film!" Dabei denke ich vorrangig an die auch von Jürgen erwähnte Prosumerzielgruppe, die bisher digital dreht und auch zumeist sowohl ein technisches Vorwissen, als auch eine bessere Kaufkraft bzw. finanzielle Frustrationstoleranz aufweist als Wochenendhipster, die bloß ein total verrücktes Accessoire a la Schlüsselanhänger zum Rumgeben und: "sich Aus-der-Masse-Abheben" haben wollen. Der 16mm-Clip von ARRI zeigt ja ganz gut, was man alles an Informationen rein sinnlich rüberbringen kann, ohne die Leute zuzuquatschen. Etablierte Filmkünstler, die bisher ihre ästhetischen Effekte hauptsächlich digital erzeugen, können sekundär auch noch angesprochen werden, auf die Gefahr hin, daß die das genaue Gegenteil suchen oder die eine Kampagne die andere wiederlegen würde.
Friedemann hat aber auch recht, daß simple to deal with von enormer Bedeutung ist, gerade bei der ganzen Infrastruktur, Bestellung und Verarbeitungskette. Das ist nichts, was wir mit Werbung ändern können, sondern Wittner u. a. müssen sich da endlich mal auf die Hinterbeine stellen, bevor wir ein auch heutzutage wirklich attraktives Produkt haben. Die angekündigte Norwegenkamera löst ja schonmal einige Probleme in der Richtung, z. B. synchrone und einfache Tonaufnahme per XLR, Videoausspiegelung und 16:9-Aufnahme. Aber das ist, s. o., bei weitem nicht alles, was in puncto simple to deal with noch in Ordnung gebracht werden muß, bevor wir ein wirklich attraktives Produkt jenseits der Zielgruppe Prosumer haben.
Bis dahin können wir auf flippige Jugendliche, Schüler, Unistudenten (mit Ausnahme der richtigen Filmstudenten) usw. pfeifen, denen nicht nur die wirtschaftlich relevante Kaufkraft fehlt, sondern die auch schon verzweifeln würden, wenn man ihnen eine Kassette und eine Kamera in die Hand drückt: Was muß man damit machen, wenn die Kassette zuende ist? Was, wegschicken? Per Post? Und auch noch extra bezahlen? Ich hab' doch schon für den Film bezahlt! Und zwei Wochen warten? Und das, was ich dann im Briefkasten hab', kann ich dann immernoch nicht auf YouTube stellen und mit dem Windows Movie Maker schneiden?
Das Video von wegen: "Ich bin Ausländer (leider zum Glück)", das hier von Fairchild verlinkt wurde, ist eindeutig viel zu professionell produziert (Stativ und Steadycam bzw. dieses spezielle Körperkamerastativ, richtige Einstellungsgrößen und sauberer Bildaufbau, guter Schnitt, etc...), um von solchen Wochenendhipsteramateuren zu stammen, von denen hier geträumt wird. Der einzige Grund, weshalb es amateurhaft aussieht, besteht darin, daß es offenbar mit einer Ein-Chip-Kamera bzw. Beta gedreht wurde.
Mit 100 oder 200 ASA sehe ich da aber nicht so das große Kompatibilitätsproblem, das ja mit dem Ende des K40 überall an die Wand gemalt wurde. Auch meine 40/160er-Kameras kamen immer problemlos mit dem E100D klar, ganz ohne Belichtungskorrektur. Es ist eher ein Problem für die einfache Bedienbarkeit, daß es kein oder kaum noch Kunstlichtmaterial gibt.
Bei einer: "Abtastung" per Smartphone kann schon vom Prinzip her nur genauso unterirdischer Schrott rauskommen wie bei der üblichen Abfilmerei. Und ich will verdammtnochmal keine: "häßlich & billig"-Kampagne, die solche Eigenschaften auch noch als toll hinstellt!
Wieviele RAW-Videos werden denn eigentlich von Endkonsumenten mit RAW-Kameras so gedreht? Na? Also! Auch die meisten Standbildkameras, die über eine Videofunktion verfügen, nehmen Video nicht nur mit Color subsampling auf, sondern sogar als extrem komprimiertes MPEG, mp4 oder x264.
Und ich warte bis jetzt noch immer auch auf eine Standbildkamera, die mir denselben Farbumfang wie Chemiefilm liefert, kein häßliches Ausreißen in den hellen Bereichen zeigt, Schwarz nicht als milchiges Grau darstellt, und wo nicht ganz videotypisch das, was dazwischen zu sehen ist, blass, müde und tot aussieht. Ohne Nachbearbeitung. Vor allem zum selben Preis von rund 20-30 Euro für den Body, und, wenn man nicht gerade Wert auf ausgefallene Brennweiten legt, mit einem ähnlichen Preis für die Optik.
Du arbeitest als Sachbearbeiter im Jobcenter?! :shock1: