Das besondere bei diesem Tatort-Film im Vergleich zu anderen, zeitgenössischen Tatort-Filmen ist, daß
1.) nicht die privaten Komplexe der Ermittlerfiguren im Vordergrund standen, ohne der Handlung Beitrag zu leisten,
2.) die dargestellten Figuren über den gezeigten Handlungszeitraum eine charakterliche Entwicklung erfahren haben, die auch gezeigt wurde,
3.) es zwei losgelöste Nebenhandlungsstränge gab, die zwar nicht stringent verfolgt wurden, jedoch den Vortrieb der Haupthandlung gewährleisteten und daß es
4.) infolge dessen auch Nebenfiguren, die keine Perspektive auf Wiederkehr haben, in gebotener Kürze differenziert dargestellt worden sind.
Zu 1.): Keine nervigen Kinder, keine hysterischen Ehefrauen, keine nervigen Affairen mit Ermittlungssubjekten, keine unprofessionellen Techtelmechtel untereinander. Lediglich die Vergangenheit des einen Kommissars in Zeiten des deutschen Herbstes spielt eine Rolle und dient nur dem Zweck, die Handlung zu tragen. Das hätte nicht sein müssen, hat aber im Gegenzug auch nicht geschadet.
Zu 2.): Der ältere Ermittler gerät in die Lage, die Ideale seiner Jugend und Adoleszenz, die lange verdrängt wurden, anhand seiner Arbeit zu reflektieren. Er erkennt, daß das "System", in welchem er steckt und wofür er arbeitet und - wie sein Kollege - eine Kugel kassieren würde, in der Tat seine Schattenseiten hat. Zugegebenermaßen hätte gerade diese Erkenntnis eine deutlicherer Betonung verdient, wenngleich dies zur ordentlichen, dramaturgisch wertvollen (d. h. von der typischen ARD-Degeto-Holzhammerdramaturgie(R) befreiten Spielweise) Darstellung mehr als der üblichen 90 Minuten bedurft hätte.
Zu 3.): Eine Frau wurde in der Badewanne ertränkt, ein Geldtransporter wurde überfallen, schön und gut. All diese anfänglichen Nebelkerzen dienten nur dem Zweck, den Blickpunkt auf die Hauptsache, nämlich die Verquickung zwischen Staat, V-Männertum, und möglichen "Skandalen" zu lenken. Gut gemacht, wie ich finde, denn die Schwerpunkte waren deutlich gesetzt. Es wurde kein "alles ist überwacht"-CIA-Thriller daraus (vgl. Außer Atem, 2011, furchtbarer Film, oder z. B. auch Mercury Puzzle, 1998, ein NSA-Thriller, wo der Geheimdienst auf unrealistische Weise als allwissend und omnipräsent auftritt), sondern ein die deutsche, föderalistisch gestaltete Realität aus der Unfähigkeit der Behörden einerseits und die Allmachtsphantasien einzelner andererseits glaubhaft wiedergebender Film geschaffen.
Zu 4.): Im Zuge dessen fand ich die Stelle am interessantestens, als der ältere Ermittler auf ein Wort mit dem pensionieren LKA-Mann ein Glas Wein trank, denn diese Nebenfigur ist erstens nicht so sehr Nebenfigur, wie sie zu sein scheint und zweitens ist auch diese Figur einem Wandel unterworfen, indem sie innerhalb der Kürze ihres Auftretens ihre Rolle in vergangenen Zeiten reflektiert und somit nich in sich selbst einen Wandel hervorruft (das wäre unrealistisch), sondern dazu beiträgt, jemand anderen zum Denken anzuregen und daraus einen Mehrwert ziehen könnte.
Dieser Film mag nicht unterschätzt sein, ein "Blockbuster" mit viel Peng-peng und Bumm-bumm, wie es der Baader-Meinhof-Komplex war (i. ü. ein Film, der ebenso historische Ungenaugigkeiten präsentiert), ist es nicht, aber er ist nicht minder interessant, und daß er zum Nachdenken und zur Reflexion über diese Zeit und was die Umstände dieser Zeit mit diesem Land gemacht haben, anregt, ist ein Verdienst.