Um wieder zu Jacquestatis Ausgangspostings zurückzukommen, hier mal meine 10 cents aus eigener Erfahrung:
Video war früher keine Alternative - es sei denn, zu reinen Dokumentationszwecken (wie der statischen Aufzeichnung eines Vortrags) -, weil es im Gegensatz zu Schmalfilm kein fotografisches Bild hatte. Selbst noch im MiniDV-Zeitalter bedeutete Video: totkomprimierte Bilder mit geringer (8bit-) Farbtiefe, Aufzeichnung in Halb- statt in Vollbildern und mit gestauchten Pixeln, Dynamikumfang von vielleicht 6 Blenden mit ausgebrannten Spitzlichtern und abgesoffenen Schatten. Auch als MiniDV von HD abgelöst wurde, bedeutete das - bezogen auf die Einzelbilder - die Bildqualität einer alten 2 Megapixel-Digitalknipse, die JPEGs in höchster Kompressions- bzw. kleinster Qualitätsstufe schießt. Nicht oder nur schlecht abschaltbare Automatiken und fest eingebaute Zoomobjektive (statt guter Festbrennweiten) taten ihr übrignes.
Das alles hat sich für mich geändert, seitdem es preiswerte Wechselobjektiv-Kameras gibt, die RAW-Video schießen (wie die Blackmagic Pocket oder, per Firmware-Modifikation, eine ganze Reihe von Canon EOS-Kameras), mit zu Super 8, Super-16 und Super-35 äquivalenten nutzbaren Sensorgrößen. Das heisst in der Praxis, dass der Unterschied in Bildqualität und Handling zwischen Schmalfilmkamera und preiswerter digitaler RAW-Filmkamera nicht größer ist als der zwischen einer analogen und einer digitalen Spiegelreflex-Fotokamera - und dass die nachträgliche Bildgestaltung (Dunkelkammer versus Software wie Photoshop oder Resolve) zwar vom Prinzip her verschieden, aber von den Möglichkeiten und der Qualität äquivalent ist.
Hier ein in Super 8 gedrehter kurzer Film von einem Filmfestival:
Hier ein im letzten Jahr in digitalem RAW gedrehter Film von einem Musikfestival:
Das digitale Bild ist anders, aber nicht schlechter. Auch nicht schlechter im Sinne von "flacher" oder "schneller". In den Farben hat es die "Tiefe", die früher nur Film hatte (und stark komprimiertes Video immer noch nicht). Schnell abgedreht ist das Material auch nicht, weil die Kamera vollmanuell (inkl. Belichtung und Fokus) bedient wird, bei RAW große Datenmengen anfallen und man deshalb zwar nicht ganz so sparsam mit dem Material umgehen muss wie bei Super 8, aber auch nicht einfach nur draufhalten kann. [Eine 64 GB-Speicherkarte reicht für eine Viertelstunde Aufzeichnung.] Und man hat auch kein Fertigmaterial im Schnitt, sondern muss jede Einstellung so entwickeln und farbkorrigieren, wie man das auch mit einem RAW-Foto machen würde. [Die Kamera selbst, eine alte EOS-M, kostete mich übrigens nur 120 Euro in einem Gebrauchtladen.]
Von dem Wissenschaftssoziologen Thomas Kuhn stammt das Konzept vom "Paradigmenwechsel". Für Kuhn bedeutet es gerade nicht, dass (in den Wissenschaften) ein Paradigma bzw. eine Weltsicht durch eine andere einfach abgelöst wird. Vielmehr wird das alte Paradigma vom Allgemeinen zum Besonderen: Es lebt als Spezialparadigma weiter. In meinem Fall hat sich ein großer Teil früherer Einsatzzwecke für Super 8 erledigt - einen Film wie den hier ganz oben stehenden würde ich heute nicht mehr auf analogem Filmmaterial drehen. Allerdings drehe ich digital im Stil eines Schmalfilmers, nicht eines Videografen, mit praktisch den gleichen Handgriffen und Techniken (vom Schärfeziehen bis zum Blendenwinkel). Heute verwende ich Schmalfilm vor allem in Projektionsinstallationen, vor allem in Schleifen, und da gehen Dinge, die mit digital nicht gehen: Zufallsfaktoren bei Simultanprojektion, Einbezug von Filmartefakten wie Korn und Staub, oder auch Zeichnen auf Film bei simultaner Tanzperformance:
Verglichen mit den 80er Jahren zwangen schon vor zehn Jahren höhere Kosten zu sparsamerem und spezialisierterem Umgang mit dem Medium Schmalfilm. Das hat jetzt eben noch zugenommen - das Motto "klein, aber fein" gilt eben um so mehr.