Ich finde den Rassismusvorwurf bei PETER PAN völlig abwegig.
Genau wie im Buch von James Barrie sind auch im Film die Einwohner von Nimmerland (Neverland) keine tatsächlichen Indianer oder Piraten, sondern Fantasiefiguren zweiter Ordnung. Ihre Herkunft sind Abenteuerbücher, wie sie Kinder des 19. Jahrhunderts im viktorianischen England kannten. Captain Hook ist kein "richtiger Pirat" wie Long John Silver in der "Schatzinsel" von Stevenson, sondern eine theatralische Zuspitzung des Piratseins. Die Indianer sind eben keine amerikanischen Ureinwohner (wie Disney-Pocahontas), sondern verkörpern eben die Klischees der damaligen Populärkultur. Wer sich die Mühe macht, das Buch als Erwachsener zu lesen, wird feststellen, daß all diese Gruppen gegen jede Logik in der kleinen Welt von Nimmerland nebeneinander existieren, und daß auch der Erzähler die Widersprüche ironisch aufnimmt und miteinbezieht.
Den Versuch, das viktorianische Setting zu modernisieren, gab es schon in dem (nicht deshalb!) für mich unerträglichen HOOK-Film von Spielberg. Der nächste Schritt ist das Umbauen historischer Fakten dieser Epoche, so wie man es in MARY POPPINS RETURNS gemacht hat. Ich nenne es Umlügen, weil damit tatsächliche historische Machtverhältnisse und realer Rassismus "schönretuschiert" werden, als hätte es sie nie gegeben.
Von diesem Einwand abgesehen vertraue ich meiner eigenen Kindheitserinnerung, was die Wirkung von Disneyfilmen angeht:
King Louis im DSCHUNGELBUCH war für mich ein Affe und ganz bestimmt kein Afrikaner (in Indien?). Mowgli ist für Generationen europäischer Kinder (neben Jim Knopf und dem kleinen Muck) die erste nicht-weiße Identifikationsfigur gewesen, und zwar komplett positiv besetzt. Die Katzenband aus ARISTOCATS habe ich als Kind geliebt, ganz besonders die wilde ("asiatische") Schlagzeugkatze. Bei SUSI UND STROLCH waren die Siamkatzen eben einfach böse Katzen (Feindshaft Hund-Katze!), auch wußte kein Kind, was Siam sein sollte. Außer im Begriff der "siamesischen Zwillinge" und im Titel "Anna und der König von Siam" hatte der Name kein Assoziationskraft.
SONG OF THE SOUTH (Onkel Remus' Wunderland) dagegen ist einfach ein schlechter Film, dessen verkitschte Darstellung der Sklaverei ich keinem Kind zeigen würde. Das war übrigens schon bei der Erstaufführung 1946 ein Thema. Disney gestattet - ich finde hier: zu Recht - keine öffentlichen Aufführungen des Films mehr.
Man muß diese Fragen im Einzelfall und differenziert betrachten. Auf keinen Fall darf aber der Maßstab sein, daß irgendwer sich beleidigt fühlen könnte. Die Gesellschaft, Medien und der politische Diskurs haben leider eine solche Welle von permanentem Massen-Beleidigtsein erzeugt (Sexismus, Ageismus, Bodyshaming, kulturelle Aneignung, angebliche Phobien jeder Art), daß jede Beschäftigung mit Geschichte, Kunst, Politik damit unterbunden würde.