25., 26. Mai 2021; bearbeitet Juni 2022
Inneres eines jüngeren Modells mit Verstärkungen und Verschlußgegengewicht
Ein Massenprodukt, eines der besseren, eine gute Kamera, ein ziemlich gute sogar, nicht die beste, aber im zweitobersten Viertel
Die Geometrie um den Film herum entspricht den Normen. Einwandfreie Filmführung. Damit gehört das Gerät zur oberen Hälfte. Als Greifer hat die Kamera einen Finger, der über eine Blattfeder abgewinkelt mit einem Steuerrahmen verbunden ist. Dieser wird von einem Kreisexzenter auf- und abbewegt. An die Exzenterwelle ist durch Schraubenverzahnung die Verschlußwelle angeschlossen.
An sie ist mit einer Mutter eine Aluminiumscheibe angeklemmt. Diese Verschlußscheibe hat einen 160 Grad weiten Sektor ausgeschnitten. Die Belichtungszeit beträgt bei 16 Bildern in der Sekunde folglich 1/36 Sekunde.
Nicht im obersten Viertel des Schaltwerks wegen, genauer: Der Anschlag ist auf Ende Filmtransport gelegt, unveränderbar gefräst, so daß beim Auslösen erst Belichtung erfolgt, dann die Dunkelphase. Der Mechanismus hat keine Zeit zum Beschleunigen, das erste Bild wird im Allgemeinen länger belichtet als die folgenden.
Nicht im obersten Viertel auch, weil es keine Einzelbildschaltung gibt. Man kann den Auslöser kurz drücken, ein Bild belichten, wenn man schnell genug losläßt, aber zuverlässig ist das nicht. Keine Möglichkeit zum Ansetzen eines Drahtauslösers. Man kann sagen, ohne Einzelbildschaltung hat auch ein Drahtauslöser wenig Sinn. Ich sage, Drahtauslöser kann sehr sinnvoll sein, etwa als Fernauslöser oder für Aufnahmen, die keine Erschütterung ertragen.
Gut ist die Revere auf Grund der Machart. Robust, trotzdem leicht, kompakt und servicefreundlich. Was sie überdies einzigartig macht, ist eine Zahntrommel, die für eine konstante Filmschleife da ist, die untere. Diese Einrichtung ist etwas Besseres als die Gummirollen, wie sie oft verwendet wurden. Der Clou ist noch, daß die Zahntrommel und der Aufwickeldorn drehgefedert sind. Damit kann das Federwerk anlaufen, jedoch nicht am Film reißen. Eine kombinierte Innenaußenzahnscheibe ist am Federhaus drehgefedert aufgehängt. Mit ihr kämmen die Zahnräder auf den zugehörigen Wellen.
Der Rohrsucher hat so seine Schwächen. Eine ist, daß das Rohr aus Kunststoff gemacht ist. Beim Anziehen des Gewinderinges vor der vorderen Linse kann dieser überschnappen. Anziehen mit v i e l Gefühl. Ein Parallaxenausgleich ist unbekannt. Eine ins Glas gefräste Rahmenmarke, schwarz ausgelegt, gibt den Ausschnitt an für Objektive der Brennweite 38 mm.
Im Boden das Kodak-Stativgewinde (¼"-20), Standfläche ungefähr 38 mm im Quadrat. Die Feder zieht man auf durch Drehen des Schlüssels im Uhrzeigersinn. Rätschen geht nicht. Da die Revere 88 über kein Gesperre verfügt, kann man die Feder völlig zusammenziehen, da ist Vorsicht geboten. Nicht murksen, man kann die Feder im Lauf nachspannen. Sie macht somit auch keinen klaren Halt, sondern entspannt sich ganz im Federhaus, wobei das Tempo nach ungefähr 25 Sekunden zusammenfällt.
Ein früherer Besitzer, wahrscheinlich der erste, hat es fertig gebracht, die Feder geschätzt ein halbes Jahrhundert lang in einem gespannten Zustande zu lassen. Nun hat sie einen Standknick und rumpelt und schabt. Auf die Bildqualität hat dies aber keinen Einfluß. Diesen Altersschaden haben viele Federwerkkameras, Wecker und Uhren.
Die Bildfrequenzen 8, 12, 16, 24 und 32 sind einstellbar. Die Bremsbeläge für die Reglerscheibe bestehen aus Hartgummi, nicht das beste Material an der Stelle. Mit Graphit konnte ich da etwas holen.
Die Revere 88 besteht aus vier Druckgußteilen. Mit dem inneren ist eine Deckplatine aus Bronze verstiftet und verschraubt. Der Freilauf für den Federaufzug ist ähnlich gestaltet wie bei den Paillard-Bolex-Taschenkameras. Die Klemmrollen sind spitzenlos geschliffene Stangenabschnitte, die Stirnflächen sind nur grob bearbeitet. Was bei Paillard eine allseitig geschliffene Lagerzylinderrolle und eine Wendeldruckfeder, ist hier das Beschriebene und ein rechteckiges Stück Kork. Eigenartiger Kontrast zwischen hochkomplizierten Getriebeteilen und stellenweise rohem Druckguß.
Die Exzenterwelle hat zwei Verzahnungen, zwei geschliffene Lagersitze und den geschliffenen Exzenter, ich schätze, das aufwändigste und teuerste Teil. Die Verschlußwelle trägt auch kaum weniger, nämlich eine Schraubenzähnung, zwei geschliffene Lagersitze, einen Rändel, eine Querdurchbohrung und ein Gewinde. Das erste Zwischenrad für das Zählwerk ist auch gezähnt und beidseitig geschliffen. Die Übertragungswelle vom ersten Zwischenrad zum Zählerrad hat zwei Lagersitze, eine Schraubenzähnung und eine Schnecke. Zwei Zwischenräder im Getriebe und das Reglerritzel sind schräg verzahnt, zwei Mal aus Hartpapier, die Gegenräder jeweils Metall. Es ist also so Einiges beisammen.
Dafür ist bei der Optik gespart worden. D-Gewinde direkt im Frontgußteil, fertig. Der Rest ist Objektiv und Benutzer überlassen, will sagen: Handbelichtungsmesser. Die Belichtungstabellen helfen ja nur grob. Ohne Zutun sind die Revere 88 mit einem Wollensak-Fixfocus-Triplett verkauft worden. Den kleinen Anastigmaten hat es auch mit Einstellfassung gegeben. Anfang der 1950er Jahre wechselte man von Schwarz zu blankem Metall.
D-Mount-Objektive gab es in Amerika von Wollensak, Bausch & Lomb, Elgeet, Kodak, Ilex, Gundlach, Simpson, Sans & Streiffe und Mansfield.
Ich mag die Revere 88 und kann sie als Unbeschwertfilmkamera empfehlen. Das Ansetzen eines schweren Objektives, sprich: Sucherzoom, ist nicht ratsam, weil es den Gewindestutzen der Front verbiegen kann. Noch eine Schwachstelle, leider.
Nicht das mir vorliegende Exemplar
Herausgekommen ist das Gerät im Mai 1940. Es hat damals $29.50 gekostet, heutige $609.19 oder € 567,52. Gebrauchswert heute um € 140