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Geschrieben

Hallo!

 

Aus wissenschaftlichen Gründen (und leider bin ich keine 'wirkliche' Filmwissenschaftlerin) suche ich Hilfe bei folgender Frage: Gab es, sagen wir mal zwischen 1910 und 1945, einen Zusammenhang zwischen den Akten eines Films (erzählerisch/strukturell) und den Filmrollen? Dass letztere auch als 'Filmakte' bezeichnet werden, würde ja dafür sprechen. Mich interessiert daran auch der Aspekt, ob z.B. Akt-Zwischentitel ("Ende des 2. Akts") als Zeichen für die Vorführer gedient haben, dass der Rollenwechsel ansteht.

 

Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen – ganz großartigst wäre natürlich ein Literaturhinweis!

 

Vielen Dank und Grüße aus Hamburg,

J.

Geschrieben

In der Zeit von 1910 bis 1945 sind zwei tiefgreifende Umwälzungen bei der Filmtechnik erfolgt. Die erste ist der Übergang vom Einakter zum Mehrrollen- oder Langfilm. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es haufenweise einzelne kurze Streifen mit in sich geschlossener Handlung. Kriegsberichterstattungen und Spielfilme sprengten diesen Rahmen. Der längste Film vor dem E. Wk. war die italienische Großproduktion Cabiria von 1912.

 

Dann kam der Tonfilm. Auch Tonfilme können nur eine Rolle kurz sein, doch durch die 1920er Jahre hindurch wuchsen der Starkult, die Filmlängen, die Bildfrequenz und die Tonsysteme. Mit dem Pariser Tonfilmfrieden von 1930 war der abendfüllende Kinofilm von 90 oder 100 Minuten Laufzeit fest eingeführt.

 

Das klassische Drama in fünf Akten wurde auch verfilmt. Technisch blieben in vielen Ländern bis in die 1960er Jahre und noch länger zwei so genannte Halbakte in Gebrauch. Rollen bis 1000 Fuß (300 Meter) waren nach feuerpolizeilicher Vorschrift die Höchstlänge. 1936 erlaubten die Behörden in Deutschland und in den USA die Koppelung je zweier Rollen bis zu 2000 Fuß Länge, in anderen Ländern wurde bald danach mitgezogen. Voraussetzung dafür war, daß nur mit Projektoren vorgeführt wird, die Hinterblende haben, d. h. die Blende wirkt zwischen Lichtquelle und Film. In der Stummfilmzeit gab es viele Konstruktionen mit Vorderblende. Die Blende vor dem Objektiv hat einen größeren Lichtwirkungsgrad (schneidet das Lichtbüschel an der engsten Stelle), dafür brennt die Lampe die ganze Zeit aufs brennbare Celluloid.

 

Lange nicht alle Filmgestalter nahmen auf die Aktstruktur der Kinokopien Rücksicht. Andere bauten die Produktion gerade auf den elf Minuten Laufzeit des Tontausendfüßlers auf, etwa Alfred Hitchcock, dessen Rope von 1948 ununterbrochen durchzulaufen scheint. Mit dem Techniscope-Verfahren wurde die Aufnahmedauer auf 22 Minuten verdoppelt. Ich kann im Moment nicht auswendig sagen, ob und wie davon Gebrauch gemacht wurde. Techniscope galt als das Verfahren der Spaghetti-Western.

Geschrieben

Danke für deine ausführliche Antwort, Filmtechniker! Das sind auf jeden Fall schon sehr viele hilfeiche Infos und Facts, von denen ich keine Ahnung hatte.

 

Was ich aber immer noch nicht verstanden habe ist folgendes: Wenn ein Film (narrativ) in 5,6 oder 7 Akte unterteilt ist – kann man dann sagen, dass (häufig) diese Akte dann den Filmrollen entsprachen? Bspw. ein Akt pro Rolle? Mich würde nämlich interessieren, ob die technisch-materiellen Bedingungen strukturell Auswirkungen auf den inhaltlich-dramaturgischen Aufbau eines Films hatten. (Dass sie das z.B. bzgl. der Tonspur und der Gesamtlänge hatten, ist ja klar, aber ein Zusammenhang zwischen Akt und Rolle wäre noch eine zusätzliche Ebene...)

 

Weiterhin merci!

Geschrieben

Im Analogen kenne ich mich nicht gut aus.

Aber der Hinweis, dass die Aufteilung in Akte auch im Digitalen noch teilweise existiert: DCPs können technisch in Reels aufgeteilt sein (also Akte). Das ist teilweise einfach technisch begründet, um die Größen der Einzeldateien nicht zu groß werden zu lassen. In der professionellen Postproduktion wird aber von vorneherein aktweise gearbeitet um bei Überarbeitungen nicht immer das gesamte Projekt neu anfassen zu müssen. Hier kann also die Aufteilung in Akte in der Tat dramaturgisch bedingt sein. Im Kino bekommt man das nur insofern hin, als man einem DCP ansieht ob es einfach aus einem langen Akt besteht oder aus mehreren - diese können identische Dateigrößen haben (dann ist es eine technisch bedingte Aufteilung) oder auch verschiedene (dann liegt der Verdacht nahe, dass die Struktur der Aufteilung in der Postproduktion entspricht).

 

Schöne Grüße,

Matthias

Geschrieben
Mich würde nämlich interessieren, ob die technisch-materiellen Bedingungen strukturell Auswirkungen auf den inhaltlich-dramaturgischen Aufbau eines Films hatten.

 

Das Prinzip des Unterteilens wird bei Filmproduktionen ja schon von Anfang an eingesetzt. Die ganze Handlung wird als Zusammenfassung aufgeschrieben, als Treatment schon aufgeteilt. Gedreht wird zuweilen durcheinander, nach Szenerie geordnet, um Aufbauten am Stück zu nutzen, usw. Wie das Material im Schneideraum anwächst, stellt der geschickte Schnittmeister fortlaufend Untereinheiten zusammen, nicht zwingend nach Vorlage, sondern je nachdem nach Sequenzen, die kein Nachdrehen erlauben oder erst viel später vervollständigt werden können. Das ist der Grobschnitt. Bei jeweils 950 Fuß macht man gewöhnlich Halt, um später beim Feinschnitt Spielraum zum Schieben zu haben, eben so daß eine kurze Szene noch zugeschlagen werden kann, was vielleicht einmal zu mehr als 1000 Fuß führt, oder so daß man die Fuge sonst geschickt unterbringt.

 

In der großen Zeit des klassischen Tonkinos von 1930 bis etwa 1958 wurden eine Reihe von technischen Gestaltungsmitteln fast gleichbleibend verwendet. Die Akte wurden oft mit einer Abblendung beendet und begonnen, für die Vorführer natürlich wunderbar, weil sie damit den Aktwechsel von einem zum anderen Projektor kaum versauen können. Die Titel waren am Anfang mit Auszügen aus dem ganzen Film als musikalische Einstimmung. Der fünfte Akt, also der Halbakt 10, erhielt einen Schlußkarton, das grosse ENDE, und vom Orchester noch ein Mal Klamauk oder ein ersterbendes Letztes und dann mußte man am Projektor schon die Lichtklappe schließen und den Verstärker zudrehen.

 

Es gibt Spielleiter (Regisseur liegt mir nicht), die mühelos einen Handlungsakt auf 20 Minuten inszenieren können, vergessen wir die Schnittmeister nicht, die manchmal rettend eingreifen, und solche, denen es nie gelingt. Es kann auch sein, daß man während der Fertigstellung merkt oder daß der Produzent verlangt, etwas weglassen zu müssen. Mancher gute 80minüter war zuvor ein weniger guter 100minüter. Manche Filme sind kaum mehr zu verstehen, nachdem wie z. B. bei Vampyr von Dreyer die Liebesgeschichte im Umfang von 20 Minuten herausgeschnitten wurde.

 

Tempora mutantur nos et mutamur in illis. Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen. Es wird wohl immer schwieriger, in verschiedene Zeiten der Filmgeschichte hinabzutauchen und nachzuerleben, was einst in den Menschen geklungen hat. Das Schwelgen in Gone With the Wind muß man erst lernen, sonst ist der Film einfach grauenvoll. Ich hoffe, dir durch Vermeiden einer die Frage platt deckenden Antwort dennoch den Sinn für das Thema geschärft zu haben. Sieh dir viele Filme an und du wirst wahrscheinlich ebenso viele Erklärungen finden.

Geschrieben

Meiner Meinung gab es nie einen Zusammenhang zwischen den aus eher technisch-pragmatischen Gesichtspunkten vorgenommenen Aufteilung eines Spielfilms in handhabbare Filmrollen und der dramaturgischen Unterteilung eines Films. Ich kenne auch dramaturgisch kein Fünf-Akt-Schema. In der abendländischen Kultur inkl. Theater und Film herrscht die dreiaktige Struktur vor. Literatur z.B. Pierre Kandorfer "Lehrbuch der Filmgestaltung" etc.

Geschrieben

Ich habe mal gelesen, dass die Aufteilung bzw. die Gliederung in "Akte" einfach der Rollengröße bei der Endkopierung geschuldet ist.

 

Damals (in den 10er / 20er Jahren) wurde eine Rolle (= ein Akt) von 1000 feet - entspricht ca. 15 Minuten 35mm Filmmaterial am Stück kopiert/geliefert.

 

6 Akte entsprachen also ca. 90 Minuten Film. Anfangs spielte man mit Überblendung, später dann gekoppelt den kompletten Film vom Teller.

 

Korrigiert mich, wenn ich Käse geschrieben habe.

 

Gruß

Silas

Geschrieben

Ich denke, die größte Parallelität hat es während der 10er Jahre gegeben. Die Filme hatten eine Länge von ca. 10-15 Minuten bei 16-18 fps. Dies entspricht der oben schon erwähnten 1000-Fuß-Rolle. Hir hat sich die Bezeichnung "Einakter" bzw. "one-reeler" eingebürgert. Bei den Langfilmen der 20er Jahre sind Aktanfang und -ende häufig als Zwischentitel für das Publikum sichtbar gekennzeichnet. Sie entsprechen aber nur selten den technischen Aktlängen.

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Lt. einer Information einer Cutterin legten diese je nach Gusto die Aktanzahl und Länge auf dem Schneidetisch fest innerhalb der maximal 600m.. So soll es zu mindestens in den letzen Jahrzehnten gewesen sein. Das erklärt dann auch die manchmal kurzen Rollenlängen, die von manchen Vorführern dann zu sinnvollen Längen gekoppelt wurden und die leere Aktdose dann in den Filmkarton gelegt wurde. Ich hatte ab und an druchaus kleine Rollen, die problemlos an den Akt davor gepasst hätten. Nervte beim Filmrichten.

Jens

  • Like 1
  • 1 Monat später...
  • 8 Monate später...
Geschrieben
Am 7.8.2016 um 19:25 schrieb carstenk:

Da sind die durchaus auch sehr gut technisch zu begründen.

 

 

- Carsten

Wie fiele da aus Deiner Sicht die Begründung aus?

Geschrieben

Weil die Dateien zu groß würden (waren) bzw. einige DCI Projektoren bei der Wiedergabe von Untertiteln aus einem einzigen Akt schonmal Probleme hätten. Im Unterschied zu 35mm ist der Übergang zwischen zwei digitalen Akten allerdings immer absolut sauber und bildgenau. Anders als zumindest bei 30mal auf- und abgebauten 35mm Kopien, wo das DolbyDigital ggfs. aussetzt/umschaltet, die Schärfe springt, der Bildstand kurz wacklig wird, etc. Daher gibt es digital nicht den geringsten Grund, Aktübergänge an irgendwelche spezielle/geeignete Stellen zu legen. Selbst mitten in einem gesprochenen Satz ist das vollkommen unmerkbar.

 

- Carsten

Geschrieben
Am 6.5.2017 um 14:08 schrieb achteinhalb:

Wie fiele da aus Deiner Sicht die Begründung aus?

 

Zwei Begründungen:

 

In der Postproduction wird ggf. mit Akten gearbeitet. Je nach Workflow beim Erstellen des DCP kann es sinnvoll sein, das hier beizubehalten.

 

Und, wie Carsten schon schrieb: Es kann sehr sinnvoll sein, nicht mit einer >100 GB großen Datei zu operieren, sondern mit mehreren kleinen. Zum Beispiel, um den Transport des DCP zu vereinfach (gerade bei elektronischer Distribution). 

  • 1 Monat später...
Geschrieben

Mir fiel mal bei einem Film auf, dass der Rollenwechsel mitten in einer Szene war. Eine Aufteilung, welche der Kapitelaufteilung bei DVDs entspricht und auf den Inhalt Bezug nimmt, scheint so nicht zu existieren, man guckte einfach, was am praktischsten war.

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